Vielen Dank Herr Hofeditz!

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Gregor Paul, Michael Kohlmann, Robert Kroll, Michael Geserer, Michael Schmidtmann und Jens Wöhrmann (von links) bejubeln einen Sieg. Solche Bilder gab es in der ersten Hälfte der 90er Jahre des vergangenen Jahrtausends oft. 1993 und 1994 erreichte der TC Rot-Weiß Hagen jeweils das Bundesliga-Halbfinale.Foto: Thomas Marotzke

Hagen. „Tennis-Bundesliga in Hagen – das war die fünfte Jahreszeit“, denkt Herbert Pair zurück. „Wie Karneval in Köln, man traf sich, war eine große Familie und hatte Freude.“ Vor allem in den Hoch-Zeiten des in der Bredelle beheimateten TC Rot Weiß, der 1993 und 1994 jeweils den Sprung ins Halbfinale schaffte, also zu den vier besten Erstliga-Klubs der Republik zählte. Insgesamt 14 Jahre gab es in Hagen Bundesliga-Tennis zu sehen. Zweimal nur einen Sommer lag, dann zwölf Jahre am Stück, von 1990 bis 2001.

1980 war der TC Rot-Weiß Hagen erstmals in die Eliteliga des Weißens Sports aufgestiegen. Robin Drysdale, Adolf Kreinberg, Darko Milic und Co. konnten die Klasse aber nicht halten. Genauso ging es im zweiten Anlauf Juan Avendano, Karsten Braasch, Jens Wöhrmann und ihren Mitstreitern. Auch sie mussten zum Ende der Saison 1988 in die Regionalliga zurück. Allerdings sollten die beiden letztgenannten Akteure nach dem Wiederaufstieg im Jahr 1989 feste Bundesliga-Größen und sogar Daviscup-Spieler werden, die jeder in Tennis-Deutschland kannte.

Dass der Bredelle-Klub 1988 zum zweiten Mal im Oberhaus antreten durfte, hatte eine ungewöhnliche Vorgeschichte. Weil der TC Amberg und Klipper Hamburg ihre Teams nach der Erstliga-Saison 1987 zurückgezogen hatten, wurden im Winter Nachrücker gesucht. Dabei traf Hagen auf das klar favorisierte Team von Etuf Essen. Aber die Rot-Weißen bekamen das Heimrecht für das Entscheidungsspiel zugelost. Die Partie fand am 9. Januar 1988 in der Bredelle statt.

Vor großer Kulisse und auf dem schnellen Boden in der Heimhalle hielten die Gastgeber in den Einzeln dagegen und erkämpften ein 3:3. Dann kam es zum Eklat: Nach einer Spuckattacke eines Essener Akteurs gegen Jens Wöhrmann eskalierte die Stimmung. Es kam zu Handgreiflichkeiten, die Etuf-Equipe entschloss sich, zu den Doppeln nicht mehr anzutreten. Das sollte Folgen haben: Am 30. Januar 1988 wurde der TC Rot-Weiß am grünen Tisch zum Erstliga-Aufsteiger erklärt. Der allerdings nach der Sommersaison ‘88 aber wieder abstieg.

Erst der dritte Aufstieg hatte nachhaltige Wirkung. Nicht nur im Gedächtnis von Werner Köster: „Ich konnte gerade noch mein Portemonnaie retten“, erzählt der Teamchef, „dann wurde ich von den Spielern in voller Montur in einen Swimmingpool geworfen.“ Trainer Jörg Weißpfennig erlitt das gleiche Schicksal, die ganze Mannschaft planschte mit.

„Aber ich kann ihn doch!“
Auslöser der unvergesslichen Pool-Party im bayrischen Amberg war ein vorausgegangener 5:4-Erfolg im entscheidenden Aufstiegsrundenspiel gegen Grün-Weiß Frankfurt. „Die Frankfurter hatten einen potenten Sponsor, eine nominell sehr starke Mannschaft und waren haushoher Favorit“, erinnert sich Köster. „Die hatten die Aufstiegsfeier schon vorbereitet.“

Zum Einzug in die erste Liga trug unter anderem Karsten Braasch mit einem 6:3, 6:7, 6:5-Sieg gegen den Frankfurter Christian Geyer bei. Immer wieder hatte „Katze“ versucht, Geyers Aufschlag mit einem Stop zu begegnen, immer war der Ball im Netz gelandet. Nur beim entscheidenden Matchball nicht. „Ich hätte nicht gedacht, dass du diesen Ball noch mal versucht“, war der geschlagene Christian Geyer fassungslos. „Aber ich kann ihn doch!“, antwortete Braasch trocken. Was WTV-Pressewart Frank Hofen, einer von rund 100 mitgereisten Rot-Weiß-Fans zu der Äußerung veranlasste: „Braasch ist ein Außerirdischer!“ „Der Aufstieg in Amberg war das emotionalste Erlebnis der ganzen Tennis-Zeit“, muss Werner Köster nicht lange überlegen.

Obwohl noch viele hoch emotionale Momente folgen sollten. Denn im Gegensatz zu den beiden vorausgegangenen Aufstiegen gelang es dieses Mal, eine Mannschaft zusammenzustellen, wie sie kein anderer Bundesligist hatte. „Das Gerüst bildeten über Jahre Spieler aus der Region“, erinnert Köster an Akteure wie Jens Wöhrmann, Karsten Braasch, Michael Schmidtmann, Gregor Paul oder Michael Kohlmann, der vom Nachwuchsakteur zum Rot-Weiß-Spitzenspieler heranwuchs und später ebenfalls im Daviscup für Deutschland antrat.

In der Regel jedoch war die Nummer eins ein Ausländer. „Der beste, den wir hatten, war Javier Frana“, sind sich Werner Köster und Herbert Pair noch heute absolut einig. Drei Jahre bot der Argentinier Weltklasse-Tennis in der Bredelle. „Ein Spiel hier gegen seinen Landsmann Horacio de la Pena, das er gewonnen hat, war mit das Beste, was ich je auf Sand gesehen habe“, davon schwärmt Köster heute noch. Mit Frana wurde zweimal das Bundesliga-Halbfinale erreicht. 1993 reichte gegen Grün-Weiß Mannheim nach einer 3:6-Auswärtsniederlage ein 5:4-Heimsieg nicht zum Finaleinzug, ein Jahr später unterlag man Blau-Weiß Neuss mit 2:7 und 3:6.

Dem stehen unvergessliche Siege gegenüber. Der unglaublichste wurde im bayrischen Burghausen errungen. „Dort verloren in der ersten Runde unsere Nummer zwei, vier und sechs, wir lagen 0:3 zurück“, denkt der Hagener Teamchef zurück. „Und in der zweiten Runde verloren alle Spieler den ersten Satz. Am Ende haben wir das Match mit 6:3 gewonnen!“

Noch einmal unabsteigbar
Auch bei einer anderen historischen Partie kam der Gegner aus Bayern. Nachdem Michael Stich 1991 durch einen Dreisatzsieg gegen Boris Becker das Wimbledon-Turnier gewonnen hatte, war er als Spieler von Rot-Weiß-Gegner Iphitos München angekündigt. Die damalige Nummer vier der Weltrangliste kam dann doch nicht mit, dafür strömte die Rekordzahl von 3500 Besuchern in die Bredelle. „Ich bin zum Eingang gegangen und habe Herbert Pair gebeten, niemanden mehr hineinzulassen, die Leute standen im Klubhaus schon bis zur Toilette’“, berichtet Köster. Der Mann an der Kasse nickte – und kassierte weiter, als der Teamchef wieder weg war.

Begebenheiten aus den goldenen Zeiten des Bredelle-Klubs, als der Etat bei 700 000 Mark lag und in etwa so viele Fans zu den Auswärtsspielen mitreisten wie heute wegen der Phoenix-Basketballer auf Tour gehen. Irgendwann jedoch ging die Kurve nach unten. Ende der 90er Jahre wurde es immer schwieriger, einen konkurrenzfährigen Kader zusammenzustellen. „Das war schließlich finanziell kaum noch zu stemmen“. blickt Köster zurück.

Im Jahr 2000 nach einer glücklichen Rettung am letzten Spieltag durch einen 7:2-Sieg gegen den LTTC Berlin wurden die Rot-Weißen noch für „unabsteigbar“ erklärt, 2001 kam dann doch das Erstliga-Aus. Besiegelt wurde es am 19. August durch eine 4:5-Niederlage gegen den Rochusclub Düsseldorf.

„Es war eine sehr schöne Zeit, die ich nie vergessen werde“, sagt der mittlerweile 72-jährige Werner Köster heute. „Aber irgendwann geht jede Ära einmal zu Ende.“

Rainer Hofeditz